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  • AutorenbildUta Lewien-Schmidt

Verbundenheit im neuen Zeitalter der Einsamkeit...

Aktualisiert: 24. Jan.

Es kann jede und jeden und zu jeder Zeit treffen. Einsamkeit ist weder an ein bestimmtes Lebensalter noch an eine Lebenslage gebunden. Die Forschung in zahlreichen Studien, aber auch Mediziner*innen "befürworten nachdrücklich ein Verständnis von Einsamkeit als gesellschaftliche Herausforderung." (1) Wie gehen wir mit den subjektiven und objektiven Gefühlen der neuen Einsamkeit um?



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Nicht nur, aber auch in der Lebensmitte taucht sie unerwartet auf. Situationsbedingt durch eine unvorhergesehene Veränderung. Das kann eine Trennung, eine Scheidung, eine schwere Krankheit oder ein Todesfall eines geliebten Menschen sein. Der Job, der uns über eine lange Zeit Identifikation und Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft gegeben hat, kommt ins Wanken, weil wirtschaftliche Bedingungen, Globalisierung oder eine neue Strategie die Verbindungen kappen können. Oder eine Pandemie, von der wir nie geglaubt haben, dass sie solche Auswirkungen in unserem so selbstverständlichen Leben hat. Und dann ist es da. Das Gefühl, sich verloren zu haben. Kontakte brechen weg, die Nähe zu Gemeinschaft fehlt. Manchmal weiß man nicht, wie es dazu kam. Es hat sich oft schleichend in unserem Leben breit gemacht.


In unserem Leben, das geprägt ist von vielen unterschiedlichen Phasen, hat es immer Zeiten des Alleinseins gegeben. Genauso wie wir Beziehungen zu Menschen mit unterschiedlicher Intensität pflegten. Und allein zu leben - auch in Anbetracht, dass die Zahl der Singlehaushalte stetig gewachsen ist - muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Einsamkeit sich in unseren Gefühlen breit macht. Manchmal braucht man die Konzentration zum Selbst, um Entscheidungen zu treffen. Dann ist der Rückzug eine Entscheidung, die man selbst getroffen hat. Um vielleicht neue Prioritäten zu setzen, für das nächste Kapitel in der Biografie. Denn wir wissen ja, dass wir viel mehr Lebensphasen haben, als das in vorherigen Generationen der Fall war.


Die Faktenlage:

Was ist Einsamkeit?

Im Rahmen meiner Profession der Psychologischen Beratung und als Veränderungscoach folge ich dem Forschungsstand zur Einsamkeitsforschung und -prävention mit großer Aufmerksamkeit.

Konfrontiert mit den Fällen aus meiner Coaching-Praxis, ist es mir ein besonderes Anliegen, mich im Rahmen meiner Möglichkeiten im Gebiet der Einsamkeitsprävention, aktiv zu engagieren. Wichtig ist es mir, in meinen Fachberatungen, Seminaren und der Coachingbegleitung zu vermitteln, dass Einsamkeit zu spüren, keine Niederlage ist und kein Schamgefühl angebracht ist. Niemand hat es verdient. Wichtig ist es, unsere Gesellschaft zu sensibilisieren und Hemmschwellen abzubauen. Damit Mut und Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten wieder aufgebaut werden können. Schritt für Schritt. Das heißt aber auch, dass man noch nicht in der Einsamkeitsspirale gefangen ist und sich proaktiv noch Hilfe suchen kann.


  • Einsamkeit ist ein in eigener Wahrnehmung starkes, trauriges negatives Gefühl, das einen Mangel an quantitativen und qualitativen , aber real nicht ausreichenden Beziehungen, Kontakten und sozialen Bedürfnissen beschreibt. Sie bedeutet für jeden von uns etwas anderes. Und ob jemand wirklich einsam ist, lässt sich von außen kaum erkennen. Das Gefühl, andere würden eine Bewertung des Versagens aussprechen, hindert am ehrlichen Umgang.

  • In der Entwicklung unserer Menschheit vom Jäger und Sammler bis heute, waren wir immer als Gruppe aufeinander angewiesen. Gemeinsam war man erfolgreich, auf sich gestellt, drohte Lebensgefahr. Diese Verbundenheit entspricht unserem Wesen, wir sehnen uns danach, ob bewusst oder unbewusst. Insofern wirkt das Gefühl der Einsamkeit wie ein Alarmsignal. Eine Mahnung, selbst auf uns zu achten, darüber zu reden, und Wege zur Lösung zu erreichen.

  • Einsamkeit verursacht Stress und wirkt sich deutlich auf unsere physische und psychische Gesundheit aus. Sie schwächt das Immunsystem, verstärkt Schlafprobleme, soziale Phobien und depressive Störungen. Chronische Einsamkeit fördert eine Reihe von chronischen Entzündungsprozessen, die als Folge Erkrankungen wie Schlaganfall, Herzerkrankungen, Arthritis, Alzheimer und Krebs herbeiführen können.


Wer leidet verstärkt an Einsamkeit?

Über alle Altersgruppen (18-74 Jahren) betrachtet, sind es eher Frauen als Männer. Es gibt selten einen bedeutsamen Unterschied im Stadt-Land-Vergleich (2). Ausschlaggebend sind eher die wirtschaftlichen Verhältnisse in einer Region. Bereits seit den 1980er Jahren weiß man, dass Armut ein entscheidenender Faktor ist, der Einsamkeit und soziale Isolation begünstigt und soziale Teilhabe erheblich erschwert. Freizeitaktivitäten kosten Geld (z.B. Eintritt, Mobilität, Verzehr außer Haus), das nicht vorhanden ist. Die Beziehungen zum Netzwerk verändern sich. Schuldgefühle und die damit verbundene Scham machen sich breit. Für von Armut betroffene Menschen ein Anlass zum sozialen Rückzug. Das Armutsrisiko lag 2021 bei 16,9 %! (3) Frauen sind überproportional betroffen, ausgelöst durch die Übernahme von Pflegetätigkeiten in der Familie, Kindererziehung, die von einem Elternteil geleistet wird, was zu einer höheren Einsamkeitsbelastung und sozialer Isolation führt. Oft, weil auch hier das Geld fehlt.


Eines Tages wirst Du aufwachen und keine Zeit mehr haben für die Dinge, die Du tun wolltest. Tue sie jetzt! (Paulo Coelho)
Die immer älter werdende Gesellschaft hat unmittelbare Auswirkungen auf Sozialsysteme, medizinische Versorgung oder die wirtschaftliche Entwicklung eines Standortes.

Eine Tatsache, die wir alle gerne verdrängen. Die Zeit beschreibt die Abfolge von Ereignissen, hat also eine eindeutige, nicht umkehrbare Richtung. (4) Für mich eine gute Aussage zu unserem demografischen Wandel. Ich selbst beschäftige mich mit ihm seit 2006 konkret, indem ich in diversen kommunalen Sozialraumkonferenzen des Kreises Lippe für das Handlungsfeld Wirtschaft und Arbeit mitgewirkt habe. Die Zukunftsfähigkeit vor Augen, habe ich eine Aussage besonders im Kopf behalten:


Die Zukunft der Standorte und der Gesellschaft findet schon heute statt. Die Geburtenrate berechnet sich im hier und jetzt, die Bevölkerungsentwicklung ist mit geringen Abweichungen gut prognostizierbar. Also damit auch die Alterung der Gesellschaft. Oder in wenigen Worten ausgedrückt: Die Alten von morgen sind heute schon geboren!

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass das eine sehr direkte Aussage ist, die so schmerzt. Aber wir alle nehmen sie doch im Alltagsbild wahr. In der mittelgroßen Stadt in Nordhessen, in der ich nun lebe, heißt das in Zahlen ausgedrückt, dass 31,34 % der Einwohner mindestens 60 Jahre und älter ist - mich damit eingeschlossen. Mit steigender Tendenz in die Zukunft fortgeführt bis 2030 fast 33 % und bis 2050 36%. Das Lächeln in unseren Straßen wird älter. (5)


Diese Zahlen wirken auf unsere Lebensplanung. In unserer sozialen Gesellschaft wirken diese Ausläufer schon. Einsamkeit, soziale Isolation, individueller und kollektiver Vertrauenserlust, das Gefühl gesellschaftlich abgehängt zu sein, wahrgenommender Mangel an Gerechtigkeit, stellen Risikofaktoren für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt dar. Distanz zur Gesellschaft bedeutet immer einen Verlust an Vertrauen in unsere Demokratie.



Wenn Du schnell gehen willst, dann gehe allein. Wenn Du weit gehen willst, gehe mit anderen. (Afrikansiches Sprichwort)

Unsere Freiheit und Demokratie ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Gesellschaft. Jeder von uns ist Mitglied und sollte sich zugehörig fühlen. Deshalb sollten wir gemeinsam zusammen im Rahmen unserer Möglichkeiten die Welt gestalten.



Quellenangabe Fotos

 

Sozialer Zusammenhalt, gemeinsam Ideen entwickeln, hilft dem Einzelnen aus seiner Krise, aber stärkt auch uns als Gemeinschaft:

  • Einsamkeit muss sein Stigma verlieren. Wir müssen mehr sensibilisieren, Wissen zusammentragen und aufklären. Sozialen Rückzug können wir nur vermeiden, wenn wir Einsamkeit auch mit Namen nennen. Nette Vokabeln der Umschreibung helfen hier nicht weiter.

  • Zum lebenslangen Lernen gehören auch der Ausbau von sozialen Kompetenzen. Nachhilfestunden in Empathie sind immer förderlich. Wir sind online mit der ganzen Welt vernetzt, aber immer fremder im eigenen Lebensumfeld.

  • Es gibt viele bestehende sehr gute Angebote, es muss nicht alles neu erfunden werden. Wir müssen diese auf ihre Zugänglichkeit prüfen. Wichtige Themen sind Brückenangebote, Erstkontakt, Beziehung aufbauen und dann an die Angebote heranführen. Es geht hier nicht um Wettbewerb sondern um gemeinschaftliches Handeln. Ich bin mir der Herausforderung bewusst. Wenn die Einsamkeitsspirale wirkt, dann hilft keine bloße Auflistung in Medien von gut erdachten Angeboten.

  • Auf ehrenamtlicher Basis sollte breiter gedacht werden. Engagement ist wichtig und sollte mehr Kommunikationswege erschlossen bekommen. Wer Gutes tut, darf und sollte auch darüber reden. Auch Kommunen sollten hier mehr von sich hören lassen.


Letztlich ist jeder Einzelne von uns gefragt, wieder mehr nach rechts und links zu schauen, ob jemand Hilfe benötigt. Einsamkeit sollte keine Privatsache sein. Wir alle müssen den Blick wieder schärfen und Begegnungshürden abbauen. Eine andere Form von Wachstum, die gute Renditen versprechen könnte.


Ich habe in meinem Coachingprogramm "Fit und gesund älter werden" und "Resilienzcoaching", Bausteine - z.B. den Netzwerkcheck - zur Hilfe entwickelt. Privat engagiere ich mich als Helfer ehrenamtlich bei diverssen Organisationen.


Du möchtest Dich an dieser Diskussion beteiligen? Gerne, ich freue mich auf Dein Feedback.


 

Quellenangaben:

1) Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Diskussionspapier "Auf dem Weg zu einer Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit", Berlin 31.03.2023

2) Abschlussbericht der Enquetekommission zum Thema Einsamkeit - Bekämpfung sozialer Isolation in Nordrhein-Westfalen und der daraus resultierenden physischen und psychischen Folgen auf die Gesundheit, Drucksach 17/16750, 08.03.2022, S. 35

5) Statistisches Bundesamt, Bevölkerungsentwicklung bis 2050, www.destatis.de















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